Für Spaziergänge an der frischen Luft gibt es im Kreis Paderborn viele schöne Routen – an Flüssen, am Lippesee, in Schloss Neuhaus und in der Paderborner Kernstadt. Für die Stadtspaziergänge und auch für diesen Kommentar sind Triggerwarnungen angebracht; Hinweise auf mögliche Reize für diejenigen Menschen, welche in der Vergangenheit Gewalterfahrungen machen mussten.
Ein Spaziergang wirkt zumeist erholsam, geht häufig mit Gesprächen einher und ist eine friedliche Aktivität. Aufgepasst, das stimmt nicht mehr. Mit dem Titel „Spaziergang“ wurde mitunter auch ein anderes Konzept versehen, nämlich ein wissentlicher Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (NRW, stoppen). Und während man sich bei einem Waldspaziergang manchmal über andere Gruppen gleicher Größe freuen kann, so kann man in der Innenstadt Paderborns an manchen Abenden eine Hundertschaft sogenannter Spaziergänger:innen antreffen. Das wirkt dann zuerst verwunderlich und auch weniger erholsam, ganz unabhängig vom eigenen Erscheinungsbild und körperlicher Präsenz. Auf den zweiten Blick wirkt es aber angesichts der aktuellen Lage mindestens besorgniserregend. Bei einem solchen Treffen handelt es sich vermutlich um einen öffentlichen Aufzug und zwar ohne dass ein Veranstalter seinen Namen angegeben hätte, um Verantwortung für die Versammlung zu übernehmen. Ein solcher Spaziergang ist eine nicht-angemeldete Demonstration!
Wie kam es zu solchen Aufzügen? Ein kollektives Unbehagen ist durch das Aufkommen eines Virus überall auf der Welt entstanden – auch in Paderborn. Ein Virus, gegen das es zunächst kein Gegenmittel gab. Positive Schwingungen, Antiwurmmittel oder menschliche Gewalt helfen nicht gegen eine Erkrankung. Was aber gegen die Verbreitung half, war das Vermeiden von physischen Zusammentreffen in wechselnden Gruppen. Das Treffen anderer Menschen ist allerdings ein soziales Bedürfnis. Somit waren Regelungen notwendig, um der Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken. Diese Regelungen trafen bei einzelnen Menschen auf Unverständnis. Die notwendige Verhaltensänderung wird als Beschränkung der Freiheit wahrgenommen; teilweise ungeachtet unzähliger anderer Freiheiten, die durch das Virus vernichtet worden wären. So kam es zu Aufzügen von Menschen, die klar machen wollten, dass sie nicht mit den Regelungen einverstanden sind. Natürlich ist die Situation spürbar bedrückend, aber die Einschränkungen haben geholfen. Die weitere Entwicklung von angemeldeten und nicht-angemeldeten Demonstrationen ist in unzähligen Presseartikeln nachzulesen, inklusive des Clusterfucks von unterschiedlichsten Teilnehmer:innen oder der antisemitischen und Holocaust-verharmlosenden Verwendung des Davidsterns, die ein menschenfeindlicher Missbrauch ist.
In Deutschland sind am Montag, den 3. Januar, geschätzt über 80 Millionen Menschen solidarisch zuhause geblieben, um dem Virus entgegenzuwirken. In Paderborn waren es über 150.000 Personen. In der Presse (Radio Hochstift, Neue Westfälische, Westfalen-Blatt) war allerdings zu lesen, dass hier 600 Menschen auf sogenannten Spaziergängen in der Paderborner Innenstadt unterwegs waren. Vielen Dank für die Berichterstattung! Eine neue Beobachtung ist die Teilnahme von Mitgliedern des Motorradclubs Brothers Guard MC Germany und ihrem Tim K. (Tim Kellner, siehe Infoblatt, Recherche OWL, Recherche Pb); der Club ordnet sich offiziell dem rechtsradikalen Kampagnenprojekt „Ein-Prozent“ unter. Ihm ist auch die eigene Darstellung in der Öffentlichkeit wichtig: Es gibt dort keine kriminellen Geschäfte. Nach dem nun bewussten öffentlichen Auftritt beim sogenannten Spaziergang sollte dem Bedürfnis nach Selbstdarstellung des Brothers Guard MC nachgekommen werden, daher hier zur Wiederholung als Zitat: „Bei uns gibt es keine kriminellen Geschäfte“.
Aber was soll dieser Kommentar? Irgendwas fehlt doch. Sehr richtig. Wir möchten die lokale Presse bitten: Berichtet weiter und lasst euch nicht einschüchtern. Ihr seid uns wichtig. Außerdem an Bürgermeister Michael Dreier als Vertreter der Stadt Paderborn: Eine Stellungnahme bezüglich der mittlerweile einschüchternden Spaziergänge würde den Bürger:innen ihrer Stadt gut tun. Im Hinblick auf Geschehenes in anderen Städten wissen Christoph Rüther (Behördenleiter Polizei, Landrat), Ulrich Ettler (Abteilungsleiter Polizei) und Udo Olschewski (derzeitiger Leiter Amts für öffentliche Ordnung) wie wichtig eine funktionierende Exekutive ist, insbesondere hinsichtlich fast schon absehbarer Ereignisse bei nicht-angemeldeten Demonstrationen. Bei den sogenannten Spaziergängen oder bei bewusst zu klein angegebenen Teilnehmer:innenzahlen von Demonstrationen ist das Schutzangebot für Bürger:innen unterbesetzt.
Selbstsichere oder verunsicherte Spaziergänger:innen haben die Freiheit, selbst Demonstrationen anzumelden. Vermutlich entsteht ein Gefühl der Sicherheit, wenn sichtbar wird, dass auch andere Menschen den vom Virus verursachten Veränderungen kritisch gegenüberstehen. Spätestens wenn das Gefühl aufkommt, dass man sich in zweifelhaft guter Gesellschaft befindet, oder dass sich das eigene Verhalten geändert hat, kann man jederzeit überdenken, wie man morgen agieren will. Lasst euch nicht instrumentalisieren. Gemeinschaftlich Lichter und Kerzen entzünden, kann schön sein. Fackelmärsche und gewaltsame Übergriffe sind es nicht.
Abschließend, auch wenn es schon häufig zu lesen war: Es gibt Long COVID, Langzeitfolgen einer Erkrankung, die die eigene Freiheit enorm einschränken. Berichte von Betroffenen machen einwandfrei klar, dass man das weder bei sich, noch in Familie oder Freund:innenkreis beobachten müssen will. Krankenhäuser und Pflegepersonal sind überlastet. Zahlen zu Omikron aus anderen Ländern sind erschreckend. Es gibt ein Wundermittel namens Impfung.
Solidarische Grüße gehen raus an alle Menschen in Vereinen, Organisationen, Netzwerken, Gewerkschaften, Freund:innenkreisen, Presse, demokratischen Parteien, Menschen im Ehrenamt, religiöse, nicht-religiöse, pflegende, gepflegte, Einzelgänger:innen, Kinder Paderborns, jetzt und morgen. Sagt eure Meinung, insbesondere wenn ihr solidarisch Zuhause bleibt. Moin und Hasi Palau, wir sind nah bei euch. Und wir sind echt viele!
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